Entwicklungstherapie
Diese werden laufend ergänzt.
- Eine Ausbildung und die Psychologie dahinter
Es existiert eine Ausbildung (Weiterbildung) zum
Bildanalytiker und Entwicklungstherapeuten.
Diese wird seit mehr als 25 Jahren auf dem Hintergrund einer bildanalytischen
Psychologie angeboten und seit dem, vorwiegend im Kölner Raum, erfolgreich durchgeführt.
Im Folgenden will sich das Konzept der Ausbildung und der Psychologie dahinter für
alle, die sich hierfür interessieren, in eine gut informierende und
verständliche Darstellung bringen.
Drei wichtige Fragen
Was ist mit Entwicklungstherapie gemeint?
Entwicklungstherapie
meint die gemeinsame Arbeit eines Entwicklungstherapeuten (E-Therapeut) mit
einer Person, die entweder in psychische Schwierigkeiten geraten ist oder etwas
Besonderes für ihre Persönlichkeit tun will. Ziel dieser Arbeit ist es, die
gelebten Geschichten des Therapiesuchenden zu erkunden, sie auf ihre Veränderungsspielräume
hin zu prüfen, sowie auch gewünschte Veränderungen einzuleiten und für eine
Zeit lang zu begleiten. In der Regel findet Entwicklungstherapie in
wöchentlichen Einzel- oder Doppelstunden statt. Das Ende ist in der Regel nicht
auf eine bestimmte Sitzungszahl festgelegt, sondern einer je notwendigen
Entwicklungszeit gegenüber offen.
Was geschieht in einer Entwicklungstherapie?
In einer
Entwicklungstherapie wird durch eine Reihe von Verabredungen und Regeln eine
Zwischenwelt für eine gemeinsame Arbeit eingerichtet, in welcher die Probleme des
Entwicklungssuchenden einen geschützten Raum finden. Sie sollen sich hier über
ein Erzählen, Beschreiben oder auch auf anderem Wege (freier Einfall, Träume,
Filmerleben) in eine gut miteinander teilbare Erfahrung bringen – und zwar so, dass
die Lebenswelten von Klient und Therapeut nicht in eine Vermischung miteinander
geraten, welche die besondere Arbeit erschweren könnte. Die Absicherung gegen
eine solche Gefährdung wird durch bestimmte Absprachen erreicht (Abstinenzregel
analog zur Psychoanalyse).
Der E-Therapeut
versucht im Rahmen einer solchen Verfassung eine Atmosphäre herzustellen, in
der er zusammen mit dem Entwicklungsuchenden in Fühlung mit genau den
seelischen Verhältnissen gehen kann, die mit einem Ungenutztsein oder Fehlen von
Veränderungsspielräumen zusammenhängen. Das kann technisch auf vielerlei Weise gelingen
und nicht nur im Gespräch über wichtige Erlebnisse und Geschichten aus dem Leben
des Suchenden. Es gibt zum Beispiel für den Entwicklungstherapeuten den
besonderen Einsatz eines filmszenarischen Arbeitens (gemeinsames Filmerleben), was
eine besondere emotionale Verbindung herzustellen erlaubt, ohne die Rahmung einer
Zwischenwelt zu gefährden.
Der
E-Therapeut versucht, das gemeinsame Tun in den Sitzungen bis in die „zufälligsten“
Einzelheiten hinein als ein Geschehen zu verstehen, in welchem sich die Geschichten
des Klienten wie auf einer Bühne zur Abbildung bringen. Das Beziehungsgeschehen
in der gemeinsamen Arbeit bildet dabei den Mittelpunkt für die strukturellen
Erfahrungen, um die es geht. Die erzählten Zusammenhänge selbst sind es weniger:
Der E-Therapeut nimmt das Erinnern an bestimmte Geschichten aus der
Vergangenheit vor allem als einen Hinweis auf das, was sich mit ihrem Auftauchen
und über ihre Inhalte als ein Prozess im Hier und Jetzt ankündigen will. Die optimale
Wirkungsmacht einer Erfahrung ist erst dann gewährleistet, wenn dieselbe
Erfahrung sich auch im beziehungsstrukturellen Raum wiederspiegelt und in
diesem seine Beglaubigung findet. Deshalb muss der Entwicklungstherapeut alle Themen
und Ereignisse, die sich in den Gesprächen, Erzählungen sowie in den
therapiestunden-aktuellen Handlungs- und Erlebensgeschichten ereignen, immer wieder
auf die Ebene einer gemeinsamen beziehungsstrukturellen Arbeit übersetzen
können. (📑bü)
Der Entwicklungstherapeut bereitet sich darauf vor, irgendwann in das Muster einer
für die unverhältnismäßig großen Probleme des Klienten hauptverantwortlichen
Methode, aktiv mit hineingezogen zu werden. Er muss aber für diesen Fall eine
Idee davon haben, anders als erwartet hierbei mitgehen zu können. Denn nur,
wenn er eine Antwort findet, die in dem arrangierten Zusammenhang mit enthalten
ist, aber das besagte Beweismuster nicht bedient, kann er einen Fuß in das
zwingenwollende Geschehen des Betroffenen setzen.
Das vom
Klienten derart arrangierte Geschehensmuster erschwert Kommunikation und
Antwort. Es wird von diesem Muster nämlich eine Reaktion erwartet, die dem Betroffenen
in einer bestimmten Behauptung Recht geben wird. In einer solchen Behauptung
kann es z.B. darum gehen, dass zur Erreichung eines zentralen Ziels eine ganz
bestimmte Auseinandersetzung um jeden Preis vermieden werden muss.
Wenn der E-Therapeut
nun versuchen sollte, eine entsprechende Auseinandersetzung gegen die besagte Warnung
des Klienten durchzusetzen, würde der Versuch im Sinne der getroffenen
Vorhersage mit Sicherheit erfolglos enden und der Klient bekäme wie vorgesehen am
Ende Recht darin, dass die besagte Auseinandersetzung auf jeden Fall zu
vermeiden sei.
Das Ziel des
E-Therapeuten muss es deshalb sein, auch in einem derart arrangierten Geschehen
mit seinen besonderen Vorgegebenheiten eine Mitgehmöglichkeit herauszufinden, die
es ihm erlaubt, die erwartete Bestätigung dem Betroffenen zu versagen und ihm gleichzeitig
auch etwas von der Verheißung spüren zu lassen, die mit einer hier wieder offeneren
Entwicklung verbunden ist. Ein solches Ereignis kann zu einem Schlüsselerlebnis
für den Klienten werden und zu einer nachhaltigen Änderungserfahrung führen.
Hierfür kann
der E.-Therapeut aber erst etwas tun, wenn er die komplexe Vermeidungsstruktur
und das Beweisführungsmuster verstanden hat. Letzteres muss er in der
vorausgegangenen Arbeit bereits erkundet haben. Die Sternstunde für eine solche
Veränderungserfahrung des Suchenden ist also nicht von der ersten Stunde an
schon herstellbar, weil sie eben eine bestimmte Erfahrungsentwicklung bei dem
unterstützenden Entwicklungstherapeuten voraussetzt.
Eine solche
neue Erfahrung ist also nicht leicht herzustellen: Der Klient versucht, wenn
möglich, auch mit der unfreiwilligen Hilfe seines Therapeuten, eine
entwicklungsnotwendige Auseinandersetzung in seinem Leben außer Kraft zu setzen
- und das für den Preis einer nicht enden wollenden Anstrengung hierfür. Diese
Methodik ist nicht leicht zu durchschauen und dingfest zu machen. Sie folgt
nämlich einem Beweismuster, was in den Reaktionen der Wirklichkeit immer wieder
Recht bekommt - so ist die Methode angelegt.
Der
Entwicklungssuchende braucht für das Eindringen in diese komplexen
Zusammenhänge seines Tuns und für ein nachhaltiges Festhalten dieser Erfahrung
einen stützenden Rahmen durch ein geeignetes Bild, was die Verhältnisse in eine
passende Übersetzung bringt. Das ist in den meisten Fällen ein Märchen aus dem
Fundus der Grimm'schen Märchensammlung. Nur in so einem rahmenden Bild oder
Gleichnis ist es möglich, dem vielfältigen Vor- und Zurück des E-Therapeuten
folgen zu können, ohne dabei das Ganze aus dem Auge zu verlieren. Außerdem hilft
das gefundene Gleichnis eine eigenständige Weiterführung der erweiterten
Entwicklung in der Zeit nach der Therapie auf den Weg zu bringen. Es hilft der
Einleitung eines veränderten Umgehens mit der Wirklichkeit.
DerAbschluss der Entwicklungstherapie ist in formaler Hinsicht einfach nur ein
Ende, er stellt aber auch inhaltlich noch einmal eine ganz besondere Chance da (selbst im Fall eines Abbruches noch):
Die persönliche Veränderungserfahrung (das Schlüsselerlebnis in der Therapie
betreffend) kann sich in der je besonderen Weise des Abschließens der Arbeit mit
dem Therapeuten noch einmal als tragend und ermutigend erweisen. Bezogen auf
die komplizierte Ausgangslage, mit der die gemeinsame Arbeit mutig begonnen
wurde, sollte der Klient und auch der Therapeut am Ende sagen können, „genau sohabe ich es gewollt“ oder so sollte ich es gewollt haben.
Was muss ein Entwicklungstherapeut
können?
Die Ausbildung muss
den Auszubildenden auf diese Arbeit vorbereiten. Der Auszubildende soll dazu in
der Lage sein, in allen Herausforderungen immer die richtige Orientierung zu
finden und entsprechend handeln zu können. Die Orientierung soll aus zweierlei
Quellen gespeist werden. Die eine besteht aus der Kenntnis von einem strukturellenModell (beziehungsstrukturelle Arbeit, Mitspiel des Therapeuten, Veränderungsspielräume suchen, Zwischenweltcharakter, bildhaftes Transportabelmachen etc.) sowie einem Konzept fürs zeitliche Nacheinander
(Ablaufsmodell, wie es beispielhaft im Märchen vom gestiefelten Kater
versinnbildlicht ist). Die andere Quelle ist die Erfahrung, die der Auszubildende
in einem vergleichbaren Prozess am eigenen Leib machen konnte. Gemeint ist die Eigenanalyse
bzw. Lehranalyse, welche während der gesamten Ausbildung, durch theoretische
Reflexion begleitet, stattfindet, denn der Auszubildende musste sich in der
Eigenanalyse auf ganz ähnliche Prozesse und Wendungen einlassen, die von dem
Suchenden in einer Entwicklungstherapie durchlebt werden.
Dem E-Therapeuten
steht aber noch ein anderes Mittel zu Verfügung. Er ist in der Lage, etwas für
die Umsetzung eines ganz bestimmten Anspruchs zu tun, der sich auf das Niveau
der Beschreibung bezieht, welche die gemeinsame Arbeit tragen soll. Er kann und
muss in jeder Erzählung oder Beschreibung darauf achten, dass diese eine hohe
Komplexität und gleichnishafte Qualität erreicht. Im Verfolgen dieses Zieles wird
ein Geschehen nicht wie es vorwiegend geschieht, durch eine Reduktion auf Einfaches
heruntergebrochen, sondern vielmehr in einen Vergleich gebracht mit einem
ebenso komplexen Bild, welches es genau zu treffen versucht. In dieser
vergleichsorientierten Beschreibung entsteht dann ungeplant, wie in einem Nebenprodukt,
ein ‚Bedeutungsüberschuss‘, welcher ganz neue und bisher kaum berücksichtigte Zusammenhänge
zur Kenntnis bringt, die zuletzt eine Herstellung von Klarheit bei
gleichzeitiger Komplexität erlaubt.
Zusammenfassend
lässt sich sagen, dass Im Mittelpunkt des Ausbildungsganges die Eigenanalyse
steht, die immer wieder reflektierend auf das Konzept und die strukturellen
Rahmenbedingungen im Hintergrund eingeht und auch ein intensives Training in
komplexer und bildgenauer Beschreibung enthält.
Da sich die Erfüllung
der Anforderungen an die Fähigkeit des Therapeuten selbst auch in einer
Entwicklung vollzieht, können wir unsere Aufmerksamkeit auf vier
Entwicklungsstufen richten. Sie entsprechen jeweils einer besonderen
Qualifikation, die sich auch auf eine berufliche Fähigkeit beziehen lässt. In
diesem Sinne werden 4 Zertifizierungen möglich.
Wir können
diesen Entwicklungsgang auch als die Entwicklung auf eine ausgereifte
entwicklungstherapeutische Haltung hin beschreiben. In den Zwischenschritten
geht es um die Qualifizierung für eine bildanalytische Kommunikation (auch:
basistherapeutische Grundhaltung genannt), zu einem Projekt-Coach und
schließlich zum Bildanalytiker.
Die Entwicklung einer Haltung in vier Schritten
Schritt 1 – Abschluss: Bildanalytische Kommunikation
Die basistherapeutische GrundhaltungZiel: Die eigene Psychodynamik von ihrem Konfliktpotential her kennenlernen sowie ein Bild von der eigenen, besonderen Ansprechbarkeit gewinnen.
Schon in einer ganz normalen Kommunikation verstehen wir uns in einer gewissen Verantwortung gegenüber derselben. Mit Kenntnis des eigenen Problempotenzials und durch die Erfahrungen in der Lehr- und Eigenanalyse wird es dem Auszubildenden leichter, eine Kommunikation zu intensivieren und einen gelingenden Zugang zum Gegenüber zu finden.
Schritt 2 – Abschluss: Projekt-Coach
Zur besonderen Haltung eines Projekt-Coaches
Das In Fühlung sein mit einem bestimmten Konfliktpotenzial wird zur Grundlage
für ein besonderes Angebot, das der Auszubildende seinem Gegenüber jetzt machen
kann. Er kann die Aufmerksamkeit eines Klienten jetzt auf einen bestimmten
Problemzusammenhang hin ausrichten und helfen, diese auch durchzuhalten gegen
alle auf schnelle Lösungen drängende Abkürzungs- und Erklärungsversuche. Ein
bestimmtes Problem kann damit wie ein Projekt in der seelischen
Gesamtlandschaft der betreffenden Persönlichkeit herausgehoben und
verantwortungsvoll begleitet werden. Die eigene Ansprechbarkeit bestimmt die Auswahl
der entstehenden Themen mit und kann so auch das mögliche Angebot begrenzen.
Deshalb hat sich die Haltung des Auszubildenden in bestimmter Weise auch weiter
zu entwickeln.
Schritt 3 – Abschluss: Bildanalytiker
Die therapeutische Haltung auf dem Niveau des Bildanalytikers
Der Bildanalytiker hat gelernt, seine eigenen, von ihm selbst gelebten
Geschichten, in einem gleichnishaften Gesamtbild wiederzufinden, das sich
oftmals in einem Märchen zur Darstellung bringt. Dieses Bild zeigt ihm auf, wie
sich gleiche Zwecke auf eine durchaus wechselvolle Weise durchzusetzen
verstehen und entgegenlaufende Prozesse sich mühelos in Neubewertungen und
passende Umerzählungen überführen lassen. Mit dieser Erfahrung in der
Eigenanalyse der entwicklungstherapeutischen Weiterbildung hat er eine
Sicherheit gewonnen, selber in seiner Arbeit mit einem Klienten auch
Umerzählungen und Neubewertungen zu wagen und denen nachzugehen.
Schritt 4 – Abschluss: Entwicklungstherapeut
Was die Haltung eines fertigen Entwicklungstherapeuten auszeichnetDer Auszubildende ist in der Lage, Geschehnisse als das Ergebnis einer Kommunikation zu sehen, die gleichsam auf einer höheren Ebene von seelischer Betriebsamkeit stattfindet. Er kann jetzt überraschende Verbindungen zwischen Prozessen sehen, die für das Lösen bestimmter Probleme eine existentielle Bedeutung haben. Vor allem kann er sehen, wie diese Prozesse zwar genau den Vorgaben eines Gesamtbildes folgen, andererseits dies aber auch auf die oft verschiedenste und manchmal auch sonderbarste Weise tun. Die trickreichen und in mancherlei Hinsicht kunstvollen Formen des Zusammenwirkens von Prozessen haben den Auszubildenden über die Erfahrung in der Eigenanalyse für analoge Verhältnisse neugierig und sensibel gemacht. Er kann diesen besonderen und kunstvollen Methoden des Zusammenwirkens in den Entwicklungen seiner Klienten mit einer besonderen Aufmerksamkeit und Neugier folgen.
Zur gleichen
Zeit wird der Entwicklungstherapeut damit beginnen, aus den sich für ihn
abzeichnenden methodischen Vorlieben und den von ihm bevorzugten Techniken einen
ganz persönlichen Arbeitsstil zu entwickeln.
Die Psychologie dahinter
Ein erweitertes Bild vom Seelischen
Der
Ursprungsort des Psychischen, so lautet das vertraute Bild, ist der Mensch.
Demzufolge zeigt sich die seelische Realität im menschlichen Verhalten und
Erleben. Mit Beginn der 90er Jahre hat sich aber ein neues und übergreifendes
Verständnis vom Seelischen entwickelt. Es versteht sich nach einem Bild, das in
der offiziellen Psychologie noch keine Aufnahme gefunden hat, das aber seit
längerem schon erfolgreich angewandt wird.
Nach diesem
Bild ist das Seelische der gleichnishaft gefasste innere Zusammenhang eines
Geschehens. Das ist eine Setzung von sehr weitreichender Bedeutung. Ein so
gefasster Zusammenhang lässt sich nämlich an jedem „Ort“ finden, so, dass es
keinen letzten Ort für das Seelische gibt, wie etwa der Mensch oder sein
Verhalten und Erleben. Die weitergehende Perspektive des neu gefassten
Seelenbegriffs schließt den uns vertraut gewordenen Ort des menschlichen
Verhaltens und Erlebens selbstverständlich mit ein. Wichtig ist, dass in der
Frage nach der seelischen Natur jeden Ereignisses, nicht die Nähe zu dem
vermeintlichen Entstehungsort von Bedeutung ist, sondern allein das vorgefunden
gleichnishafte Sich-Verstehen von Zusammenhängen.
Von der Wirklichkeit lässt sich im Weiteren sagen, dass sie erlebbar verfasst
ist. Ihre bildhaften Verhältnisse schaffen die Grundlage für ein Erleben, wenn
wir davon ausgehen, dass es dabei immer um das sich Wiederfinden des Einen im
Gleichnis des Anderen geht. Das veränderte Bild vom Seelischen steht also für
einen radikal erweiterten Begriff von Psyche, ohne dabei auf Kräfte und
Erklärungen setzen zu müssen, die außerhalb der bekannten Natur zu Hause sind.
Kurz: Das bildhafte Sich-Verstehen steht für eine universale Qualität von
Wirklichkeit, und wird von einer Bildanalytischen Psychologie (W.Mikus), die
diesem Konzept folgt, als Kennzeichen und als Synonym für das Seelische
genommen.
Wirklichkeit geschieht in
Geschichten, die es in sich haben
Es sind also
die bildhaften Prozesse und Geschichten, die das menschliche Handeln
organisieren so wie auch jeden anderen erlebbaren Zusammenhang um uns herum. Die
Regieführung haben sie überwiegend in sich selbst und nicht in irgendeiner jeweils
dahinterstehenden letzten Instanz. Die Geschichten, in denen sich die
Wirklichkeit ereignet, kommunizieren untereinander und das geschieht
wahrscheinlich nicht selten auch an unseren je besonderen Interessen vorbei.
Wenn wir das
seelische Geschehen wie gewohnt auf das menschliche Verhalten und Erleben hin
beschreiben, können wir schnell übersehen, dass das Beschriebene gleichzeitig
noch in einem anderen Prozess eingebettet ist, oder sogar in mehreren, welche
das zentrale Handeln rahmen, so dass ein zunächst einmal sehr einfach sich
darbietendes Handeln sich bei genauerem Hinschauen als Teilhabe an einer
Vielzahl von Prozessen, erweisen kann. Unser Handeln ist zur gleichen Zeit in
ganz vielen Geschichten involviert und mit der Realisierung ganz verschiedener
Entwicklungen befasst. Wie können wir in einem solchen Fall sichergehen, diese
Verhältnisse nicht zu übersehen und diese in unseren Beschreibungen auch
tatsächlich festzuhalten?
Geschichten fordern eine bildgenaue
Sprache
Wir brauchen
eine Sprache welche einer Verschränkung aller miteinander in Beziehung stehenden
Geschichten Rechnung trägt. Jede Geschichte lässt sich in den Dienst einer
anderen nehmen oder führt vielleicht Entwicklungen weiter, die gerade für eine
andere mitlaufende Geschichte von Bedeutung sind. Wenn wir das Geschehen als
eine solche ineinander verschachtelte Entwicklung von Geschichten sehen, sollte
es uns gelingen, die Komplexität abzubilden. Eine bildgenaue Sprache macht es
möglich, dass wir die offenen Implikationen einer Geschichte über das
Passendmachen eines formalisierenden Beschreibungsstils nicht vorbeugend
einfach weglassen, abschneidend, wie es ansonsten oft geschieht. Übergreifende
Prozesse verlangen Beschreibungen von bildhafter Beschaffenheit. Dabei
können sich Überlappungen von Bedeutungen zeigen. Das erleichtert die Übersetzungsarbeit,
die innerhalb eines beziehungstrukturellen Gewebes von Verhältnissen notwendig
wird. Und das wiederum macht für unser Verstehen einen abgesicherten Wechsel zwischen den vorkommenden unterschiedlichen Zentrierungen möglich.
Wir können
zusammenfassend feststellen: Die Geschichten mit ihren eigenen
Begrifflichkeiten stellen eine große Herausforderung an unsere Fähigkeit dar,
eine Übersetzung zwischen den geschichtenhaften Welten zu leisten. Deshalb
brauchen wir eine gleichsam kategorienbrechende Sprache, die den
übergreifenden Verhältnissen und ihren Verschränkungen gerecht werden kann.
Es gibt eine
ganz bestimmte Voraussetzung, die für einen passenden sprachlichen Umgang mit
den seelischen Phänomenen als erstes unbedingt erfüllt sein sollte: Alle
verwendeten Begriffe sollten grundsätzlich in ihrem weitesten Sinne verwendet
werden, so dass jede genauere Bestimmung allein über den Kontext vermittelt
werden muss. Auf diesem Weg, halten wir unsere Aufmerksamkeit immer auf den Kontext
gerichtet und ziehen auf diese Weise das Bildgenaue in unseren Beschreibungen einer
definitionsartigen Klarheit vor. Darüber hinaus braucht es zur Entwicklung
einer angemessenen Sprache einen Raum, in der diese Art des Beschreibens geübt
werden kann. Erst auf dem Hintergrund eines solchen, auf Kultivierung setzenden
Raumes, kann eine neue Form des Beschreibens mit eingeschlossenem Training für
die Zukunft entwickelt werden. Solange es noch keinen expliziten Ort für ein
solches, sprachliches Training gibt, ist es der Ausbildungsgang selber, der
eine erste Form davon im Rahmen der Gegebenheiten zustande bringen kann.
Das Atmosphärische und seine zwei Gesichter
Die gelebten
Geschichten schaffen sich eine Wirklichkeit, nach dem Muster von Figur und
Grund. Das bedeutet: Die Geschichte, welche die Führung hat, wandelt alles, was
nicht direkt zu ihr „gehört“, in einen hintergrundbildenden kontextuellen
„Stoff“ um. Das Ergebnis ist eine atmosphärische Wirkung, die uns dabei helfen kann, die Entwicklung der sich gerade durchsetzenden Geschichte auf eine zutreffende Weise einschätzen zu können.
Das
Atmosphärische tritt aber noch in einer anderen Weise auf. Und in diesem Fall
ist es dagegen sehr schwer, mit dem Wirkungen desselben umzugehen und es angemessen
zu nutzen. Gemeint ist ein Atmosphärisches nach dem Muster einer Vorgestalt: In
einer solchen seelischen Verfassung schaffen es die verschiedenen potenziellen
Geschichten eines Geschehens ein ganz besonderes Verhältnis miteinander
einzugehen. Sie verstehen es dann, sich gegenseitig so in den Dienst zu nehmen,
dass keine von ihnen die Regie übernimmt. Kurz: Sie stimmen sich untereinander
auf einen Zustand der stabilen Offenheit ein. Dieser Zustand kann sich über
eine ziemliche Dauer am Leben halten und dabei eine große, kaum zu brechende
Macht entwickeln. Dabei bindet sie im Übrigen alle möglichen Dinge und
Ereignisse, die sich ohne eigene Perspektive am Rande mitbewegen, wie in einen
Sog ein. Auf eine solche Verfassung ist schwer einzuwirken.
Was die Entwicklungs-Offenheit
dieser besonderen Art des Atmosphärischen betrifft, so muss man folgendes
wissen: Sie hat die Eigenschaft, mit einem einzigen Ereignis zerfallen zu können
um die weitere Entwicklung dann der Geschichte zu überlassen, die mit einem
Schlag die Führung übernommen hat. Der Umgang mit einem so verfassten Seelischen
setzt ein besonderes Können desjenigen voraus, der die therapeutische
Begleitung und Verantwortung in einem solchen Fall hat.
Allgemein ist
hierzu Folgendes zu sagen: Der Therapeut muss versuchen, seinen Umgang mit dem
Geschehen, auf das er sich einlässt, in eine dazu passende, ebenso offene und
auf eigene Art schwebende Form zu bringen.
Der Therapeut muss versuchen mit dem Geschehen in Fühlung zu gehen. Das meint
aber etwas Anderes als das uns Bekanntere „Sich-einfühlen“. Der Therapeut muss
nämlich mit einem Geschehensganzen in Fühlung gehen, welches vielschichtig, in
sich verzweigt und insgesamt nicht leicht zu erfassen ist. Häufig hilft hier
die Erinnerung an eine Szene aus einem Märchen weiter. Leichter wäre es für ihn, sich in den Klienten bzw. in ein ganz bestimmtes Leid desselben einfühlen zu müssen.
Jede allzu
entschiedene Bewertung nach Art eines klaren Gefühls, hat das Zeug dazu, uns
eher die eigene Befindlichkeit näherzubringen als das atmosphärisch
verschlüsselte Ganze und sein Potenzial. Der Therapeut muss den Verbindungen,
die zwischen den Geschichten anklingen eine Aufmerksamkeit schenken, die nicht
auf ein akribisches Befragen hinauswill, sondern auf ein erhofftes Ereignis
wartet. Ein Ereignis, in welchem es den Zusammenhängen gelingt, sich dem
Suchenden über eine besondere Verdichtung des Atmosphärischen nachhaltig
näherzubringen. Vor diesem Hintergrund kann der erhellende Gedanke aufkommen, dass es für
den gekonnten Umgang mit dem Atmosphärischen durchaus Sinn macht, sich auch in einem
unscharfen Blick auf die Wirklichkeit zu üben.
Das
Atmosphärische hat also zwei Erscheinungsweisen. Es kann sich in
der prozessbegleitenden Lebendigkeit einer sich entwickelnden Geschichte zeigen oder aber in der vorgestaltlichen Beschaffenheit einer, sich auf eine größere
Veränderung hin vorbereitenden, genauso offenen wie geschlossenen seelischen
Verfassung. Das Atmosphärische in seinem prozessbegleitenden Wesen ist für die
erfolgreiche Entwicklung einer Geschichte auf eine ganz ähnliche Weise wichtig
wie es der Kontext für ein Verständnis des eingesetzten Begriffes ist. Es stellt
in diesem Fall für die besagte Geschichte also nicht nur eine irgendwie wohlwollende
und vom Rande kommende Begleitung dar, sondern hat für sie vielmehr eine den
Inhalt mitbestimmende, substanzielle Bedeutung.Und jetzt
nochmal ein Blick zurück auf die besondere seelische Verfassung, in der es um
die Vorbereitung einer größeren seelischen Veränderung geht;
Das Atmosphärische
gibt sich hier parteilich in allen Fragen, die das Vorbereiten selbst
betreffen, in den Fragen der Inhaltlichkeit einer sich dabei vorbereitenden Auseinandersetzung
aber gerade nicht. Der Therapeut wird in dieser Lage versuchen, Zuspitzungen zu
verhindern, die auf eine abkürzende Entscheidung hinauslaufen könnten. Für das
therapeutische Eingreifen in diesen Prozess bedeutet das, sich der vorherrschenden
Gesetzlichkeit anzupassen und im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten, gleichsam
aus dem Vorgestaltlichen heraus, es immer wieder neu zu versuchen, das
Potenzial der Veränderungsspielräume aufleben zu lassen.
Im Gegensatz
hierzu - und daran sei noch einmal erinnert - können wir unseren Umgang mit den atmosphärischen
Verhältnissen, sofern sie von prozessbegleitender Natur sind, erfolgsorientiert
analytisch gestalten. Wir sehen darin eine Ausdrucksbildung für alles das,
was sich eine bestimmte Geschichte in ihrem Werden über die verschiedenen
Kontexte ihres Existierens hinweg zu eigen gemacht hat.
In der
Situation einer sich vorbereitenden größeren seelischen Veränderung sind die
atmosphärischen Wahrnehmungen und Zeichen, wie zuvor dargelegt, allerdings von
einer anderen Beschaffenheit. Sie fordern ein „In Fühlung gehen“ mit der
besonderen Natur des Seelischen heraus. Eine Psychologie, welche die erlebbaren
Zusammenhänge zu ihrem Gegenstand erklärt hat, nimmt es mit dieser
Herausforderung auf.
Ein Blick auf die Wirklichkeit im
Ganzen
Das
erweiterte Bild vom Seelischen bringt eine Bereicherung unserer gelebten Wirklichkeit
mit sich. Und hierzu trägt vor Allem ein neuer Umgang mit der Geschichtenhaftigkeit
des Seelischen bei. In den Geschichten. so wie wir sie jetzt verstehen können,
kommen Mensch und Natur auf eine besondere Weise zusammen.
Wir müssen
uns von dem alten Bild trennen, dass wir es im Leben stets mit den
sogenannt nackten Tatsachen auf der einen und den sie einkleidenden, vom
Menschen gemachten Geschichten, auf der anderen Seite, zu tun haben. Auf dem
Hintergrund des bildanalytischen Konzepts von einem erweiterten Seelischen
können wir alles was uns begegnet, als einen erlebbaren Zusammenhang
beschreiben, und auf die Spaltung in ein rein raumzeitliches Geschehen auf der
einen Seite (nackte Tatsachen) und ein Bewertendes (deutende Geschichten) auf
der anderen Seite, verzichten. Wir beschreiben das Ganze als einen
erlebbaren Zusammenhang. Damit bemühen wir uns um eine Beschreibung, die das
Eigenlogische des Geschehens mit vergleichenden Bildern und Analogien
festzuhalten versucht, statt es in seinen Inhalten nach den Vorgaben der
Raumzeitlichen Perspektive einer Naturwissenschaft einzuordnen. (📑ez)
Diese
Aufhebung der Spaltung wird der Wirklichkeit im Ganzen gerecht. Wenn wir der
Welt ganz allgemein ein eigenes geschichtenhaftes Wesen zubilligen, gelingt es
uns in den Geschichten der Natur zu lesen, ohne dabei unseren eigenen
Projektionen aufzusitzen, wir könnten erfahren, was sie uns zu sagen hat. Für
die Naturwissenschaft könnte die Aufhebung dieser Spaltung zur Folge haben,
dass sich ihr verselbständigtes Streben nach Verfügbarkeit auflöst, rückt doch
für sie jetzt das Verstehen in den Mittelpunkt.
Das
vorgestellte Konzept von einem erweiterten Seelischem legt darüber hinaus nahe,
uns in eine ganz bestimmte Technik einzuübend. Darin geht es darum, mit den
Geschehnissen und Problemen, die unsere Wirklichkeit bestimmen, in Fühlung zu
gehen, statt auf eine schnelle Bewertung mit anschließenden Lösungsversuch zu
setzen. Wir leben in einer Zeit, in der auch das Lösen wollen und das zu
schnelle Bewerten eine zu hohe Bedeutung haben.
Eine
bildanalytische Sicht auf die Welt kann dazu beitragen, eine gelassene und den Herausforderungen des Seelischen gewachsene Haltung zu gewinnen. In dieser Qualität findet die Haltung des Entwicklungstherapeuten seine besondere
Auszeichnung. Eine so gewonnene Haltung macht es möglich, Teil einer bedeutsamen kulturellen Entwicklung zu sein.
Literaturverweise:
Filmszenarisches Arbeiten - Werkzeug für eine strukturelle Psychotherapie
Werner Mikus, Okt. 2018
Struktur und Funktionieren von Psychotherapie - Eine psychologische Analyse
Werner Mikus, Aug. 2004 in Entwicklungstherapie, Heft 3
Strukturelle Bedeutung von Therapieabschlüssen
Werner Mikus, Dez. 2012 in Entwicklungstherapie Heft 4
Wenn die Therapie mit Abbruch endet
Dr. Markus Buschkotte, Dez. 2012 in Entwicklungstherapie, Heft 4
Foto: Pixabay
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