Beispiele-Bibliothek (bü)
📑bü (beziehungsstrukturelle Übersetzung)
Kapitel: Was geschieht in einer Entwicklungstherapie? 3. Abschnitt
"Der E-Therapeut versucht, das gemeinsame Tun in den Sitzungen bis in die „zufälligsten“ Einzelheiten hinein als ein Geschehen zu verstehen, in welchem sich die Geschichten des Klienten wie auf einer Bühne zur Abbildung bringen. Das Beziehungsgeschehen in der gemeinsamen Arbeit bildet dabei den Mittelpunkt für die strukturellen Erfahrungen, um die es geht. Die erzählten Zusammenhänge selbst sind es weniger: Der E-Therapeut nimmt das Erinnern an bestimmte Geschichten aus der Vergangenheit vor allem als einen Hinweis auf das, was sich mit ihrem Auftauchen und über ihre Inhalte als ein Prozess im Hier und Jetzt ankündigen will."
Beispiel:
Der Klient erzählt seinem Therapeuten stolz davon, dass er
eine bestimmte Erkenntnis aus der letzten Stunde mit erstaunlichem Erfolg anwenden
konnte. Der Therapeut lässt sich das Beispiel ganz genau erzählen und lässt
seine Freude daran erkennen. Dann fällt dem Klienten plötzlich ein, dass sein Vater,
wenn er von der Arbeit nach Hause kam, durch den stolzen Hinweis seiner Mutter immer
bewundern musste, was er als 3jähriger Sohn Tolles am Tage gebaut hatte. Er
kann sich aber an das Gefühl des Bewundertwerdens durch den Vater nicht richtig
erinnern, eher an den Stolz der Mutter.
Vielleicht „fragt“ er sich über diese Erinnerung gerade, ob
er seinen Therapeuten denn wirklich so sehr beeindrucken könne, mit dem, was er
so ausführungsreich zu erzählen hatte, denn in der Erinnerung freut sich der
Vater ja erst einmal über die stolze Mutter und dann erst darüber, dass auch
mit dem Sohn alles in bester Ordnung ist.
Von dieser Erinnerung aus, lohnt es sich auch die aktuellen
Kontexte genauer in den Blick zu nehmen. So könnte es doch sein, dass der
Klient über die gutlaufende bisherige Arbeit in der Therapie, gerade dabei ist,
sich in einer Form der Selbst- und Eigenliebe auszuprobieren. Und dann würde es
gut passen, wenn er In Analogie zur liebenden Mutter mit ihrem Lob sich selbst ein
Geschenk machte, indem er nämlich stolz auf seine Leistung schaut und das mit seinem
Therapeuten teilen möchte. (wie in der Erinnerung die Mutter mit dem Vater). Und
wenn er es nach dem Vorbild seiner Mutter macht, wird er in diesem Augenblick zu
der liebenden Mutter sich selbst gegenüber, welche mit ihrem Lobeshinweis an
den Vater nicht nach einer objektivierenden Bewertung fragt, sondern auf diesem
Weg vielmehr den gemeinsamen Liebesbund bekräftigen möchte.
Und vielleicht geht es dem Klienten in dem besagten Augenblick,
in dem er sich als der stolz Erzählende erfährt, um einen ganz ähnlichen
Wunsch, der natürlich von dem Therapeuten auch übersehen werden kann.
Vielleicht würde der Therapeut ja inhaltlich auf das Erzählte genauer eingehen
und ihm dabei helfen, seinen Erfolg in der Sache noch klarer sehen zu können.
Damit würde er aber das andere Anliegen „übersehen“ haben:
Die Chance wäre nicht wahrgenommen, den gemeinsamen Bund mit seinen geheimen
und offenen Verabredungen (so wie es sich im ritualisierten abendlichen
Zusammentreffen seiner Eltern abspielt) zu bekräftigen, und zwar für den Fall,
dass im Mittelpunkt desselben etwa die Zielsetzung steht, sich selber auch einmal
mit liebenden Augen begegnen zu können. Eine solche atmosphärische Stimmung könnte
sich im hier geschilderten therapeutischen Raum durchaus aufbauen lassen. Dazu
muss der Therapeut allerdings in der Lage sein, Übersetzungen von dieser Art auf
das beziehungsstrukturelle im Hier und Jetzt vornehmen zu können.
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