Das Phänomen Israel und das Drama Nahost

 

Eine bildanalytische Betrachtung ohne Anspruch auf Vollständigkeit




Eine Besonderheit des Judentums 

Das Judentum ist sowohl eine Religion als auch ein Volk. Allein, weil man von einer jüdischen Mutter geboren wurde ist man ein Jude und das heißt: Teil eines Volkes und zugleich Teil einer jüdischen Glaubensgemeinschaft. Der Jude ist darin frei, in welchem Staat er sein volkseigenes Wesen und seinen besonderen Glauben (seine verbindliche Religion) leben will. Ein Franzose ist dagegen nicht durch die Geburt von einer französischen Mutter Teil einer französischen Religiosität und auch nicht Teil von einer nicht an ein festes Territorial gebundenen Volksidentität. 

Territorialität 

Das Thema Territorialität muss für das jüdische Volk und seiner Geschichte eine immer schon ganz besondere Rolle gespielt haben – spätestens seit der Zerstörung des zweiten Tempels in Jerusalem 70 n. Chr. durch die Römer und der nachfolgenden Zersiedelung in alle Welt. Dabei hat sich eine nach zwei entgegengesetzten Seiten ausgerichtete Wirkung entwickelt: Die jüdische Religion macht es nämlich möglich, mit der Existenz eines konkret fehlenden Heimatbodens weitgehend unkompliziert und gelassen umzugehen. Weiß man als religiöser Jude doch, dass man sich seines ursprünglichen Heimatbodens sicher sein kann, weil man einem Volk angehört, das durch ein göttliches Versprechen am Ende wieder in die alte Heimat zurückgeführt werden wird. Von einer so basierten Gelassenheit in Bezug auf alle Angelegenheiten weltweiter Auseinandersetzungen geopolitischer Art, kann auch eine ganz andere Wirkung ausgehen: Das völlig außer Frage stehende letztendliche Beheimatetsein eines Juden lässt ihn auch schnell als jemand erscheinen, der allzu leicht über bestimmten Dingen steht, die für viele Menschen aber unbedingt existenzbestimmend sind. Die Existenz eines Heimatbodens, die über die Religion ja völlig außer Frage gestellt ist, kann auch ungewollt eine dementsprechend andere Wirkung in der Weltgemeinschaft hervorrufen. Das Judentum erlaubt eine transzendierende Art von Verschmelzung mit dem was ein Heimatboden an Bindung zu bieten hat und erlaubt zugleich auch ein radikales Freisein von der Bestimmungsmacht- und Ohnmacht einer solchen Bindung leben zu können.

Säkularisiertes Judentum 

Nun gibt es im aktuellen Judentum aber auch eine Entwicklung, die sich als Säkularisierung versteht. Sie geht davon aus, dass die Erfüllung jüdischer Ideale nur mit Hilfe menschlichen Handelns erreicht werden kann und nicht allein durch ein göttliches Eingreifen. Die Idee findet in dem Begriff des Zionismus seinen Ausdruck. Diesem säkularisierten Judentum entsprechend heißt es nun: Die jüdische Heimat muss aktiv erstritten werden, und man könne sich nicht wie die streng orthodoxe Auffassung es nahelegt, allein auf die Rückkehr des Messias verlassen, der die Dinge dann richten werde. Der säkularisierte Jude sieht sich als fester Bestandteil eines jüdischen Volkes aber nicht mehr einer jüdischen Religion( obwohl es auch religiöse Zionisten gibt). In der Religiosität ist er nunmehr frei. An die Stelle der Religion, die früher die Verbindung zur Volkszugehörigkeit hergestellt und gesichert hatte, versucht man nun die Existenz eines jüdischen Nationalstaates zu setzen. Das jüdische Volk soll einen eignen Nationalstaat haben, der die ehemals so feste Verbindung über die Religion auf eine neue und für die Neuerungen in der Welt offenen Weise herzustellen vermag. Damit lässt sich das Geschehen um die Staatsbildung Israels 1948 schon etwas besser verstehen. Es hätten auch andere Lösungen versucht und möglicherweise gefunden werden können. 

Nationalstaatlichkeit und ihre Folgen 

Mit dem Bindemittel einer Nationalstaatlichkeit entsteht ein anderes Narrativ für das hier und jetzt existierende Volk der Juden, das sich aus Menschen zusammensetzt, die in den verschiedensten Ländern der Welt ein Zuhause haben. Jetzt sollen sie ein zusätzlich "eigentliches" Zuhause haben, eine eigene Nationalität. Die Macht eines solchen, sich ins Leben setzenden Bildes geht nicht von den einzelnen Menschen einer Volksgemeinschaft aus. Es ist vielmehr die Macht des Bildes selbst, dass die Regie zu führen versteht in einem Ganzen, das sich - nunmehr mit manifestem Territorium - als Nationalstaat versteht. Als Nation wird das Judentum in die Rolle eines „Subjekts“ gehoben. Und einem solchen Subjekt gemäß versucht es sich auch von Lebensgemeinschaften abzuheben, die sich auf einem vermeintlich niedrigerem, sprich pränationalen Niveau befinden. Das Subjekt "Nation" versucht gleichsam seinem Status der Nation gerecht zu werden. Das liegt in der Natur der sich bildanalog strukturierenden übergreifenden Zusammenhänge. Ein Beispiel gibt der frühe Kolonialismus, wo dies ausgiebig durch das Einverleiben von organisatorisch vermeintlich unterlegenen Lebensräumen geschehen ist - in Nahost, in Afrika und Übersee sowie in der binnenkolonialen Variante auch im Eurasischen und im Amerikanischen Raum. Eine Nation hatte damals wie zum Beweis seiner Existenz Kolonien zu besitzen, welche sie - freundlich formuliert - zu verwalten hatte. Heute sind die Bilder rund um das Koloniale von anderer Gestalt. Aber wir sollten unvoreingenommen auf die Entwicklung einer sogenannten Dekolonialisierung schauen. Die Aufteilung von Palästina wurde unter der Überschrift "Dekolonialisierung" ausgedacht und ins Werk gesetzt. Aus zionistischer Sicht war dies eine Befreiung von Kolonialherrschaft, während andere es als Fortsetzung kolonialer Muster sehen.

Möglicherweise ist der Geist eines kolonialen Denkens noch nicht zurück in die Flasche geholt.
Zwischenbemerkung zu diesem ersten Blick auf die Sache Im Nahen Osten kommt zur Zeit Vieles in einer ebenso komplexen wie grausigen Verflechtung zusammen: Das Prinzip des Kolonialen wird darin als eine peinliche und lang nicht überwundene Sache ungewollt in Szene gesetzt und das auf eine vielfach verdrehte Weise. Im Gewirr der sich gegenseitig in den Dienst nehmenden Bildern kann es einem geradezu schwindelig werden. Hier ist tatsächlich ein Herangehen mit einer bildanalytischen Methode erforderlich. Ich habe damit angefangen und werde den Gedankengang bei Gelegenheit fortsetzen. 

Autor: Werner Mikus

Ein erster Beitrag zum Thema findet sich auf Klick (von 2014 mit Überarbeitung in 2025)

und ein vorausgehender Beitrag vom Ende August 2025 

Foto: pixabay-gaza

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Entwicklungstherapie

Wirklichkeit ist emotional verfasst

Wirklichkeit stellt sich her