Das Drama um Palästina und die "Krankheit" dahinter

 



Kolonialität als seelisches Prinzip

Vielleicht täuschen wir uns, wenn wir den Konflikt zwischen Israel und Palästina als ein Gegenüber von Sehnsucht nach Rückkehr und Bedürfnis nach Sicherheit auf der einen Seite und Enteignung und Entwürdigung auf der anderen Seite deuten. Denn was wir hier tatsächlich erfahren, ist die festgefahrene Wirkung eines Prinzips, das wir eigentlich als überwunden angesehen haben, das Prinzip des Kolonialen – jenes unbefragten Groß- und Mächtigseins, das sich wie ein Krankheitserreger in die Geschichte des Nahen Ostens eingeschrieben hat.

Denken wir mal alternativ zum Kolonialen: Die Frage „Wer gehört wohin?“ ist keine statische, sondern eine, die sich in echten Auseinandersetzungen und auf Augenhöhe in der Wirklichkeit zu versuchen hat. Auf diese Weise nur entstehen echte Nachbarschaften, Lebenswelten, Länder. Doch das koloniale Prinzip verweigert diesen Prozess. Es stellt sich darüber, beansprucht Deutungshoheit und Raum, ohne sich dem Dialog zu öffnen.

In diesem Licht erscheint die Existenz Israels nicht nur als eine aus dem Rahmen fallende politische Realität, sondern vielmehr als ein Symbol für eine noch nicht abgeschlossene Transformation: einer Verwandlung der Regeln eines Zusammenlebens, das erst dann gelingen kann, wenn die Kulturen und Gesellschaften unserer Zeit sich gegenseitig als gleichwertige Gesprächspartner anerkennen – nicht als Objekte einer unhinterfragbar sinnmachenden Machtverschiebung etwa.

Zum historischen Hintergrund in der brennenden Sache

Nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches übernahm Großbritannien von 1920 bis 1947 das Mandat über Palästina, institutionell verankert durch den Völkerbund. 1947 verabschiedete die UNO einen Teilungsplan, der 45 % des Gebiets einem arabischen und 55 % einem jüdischen Staat zuwies, während Jerusalem international verwaltet werden sollte.

Mit der Unabhängigkeitserklärung Israels 1948 griffen benachbarte Staaten militärisch an. Israel behauptete sich in mehreren Kriegen und weitete sein Territorium aus, vor allem durch die Einnahme des Gazastreifens 1967.

Ein gedankliches Experiment

Angenommen, die arabisch-palästinensische Bevölkerung hätte eine Haltung entwickelt, die auf radikale Versöhnung zielte. Eine mögliche Formulierung könnte lauten:

„Wir erkennen die historische Tiefe eures Wunsches nach Heimat an, auch wenn wir die koloniale Teilung als ungerecht empfinden. Wenn ihr bereit seid, euren Anspruch nicht als gottgegebenes Vorrecht zu verstehen, sondern als menschliches Bedürfnis nach Sicherheit und Würde, dann lasst uns gemeinsam einen Weg finden. Wir wollen euch als Nachbarn akzeptieren – mit einem eigenen Staat Israel, der auf Koexistenz statt auf Dominanz gründet.“

Dieses Gedankenexperiment ist kaum realistisch unter gegenwärtigen Bedingungen. Doch gerade deshalb eröffnet es einen Raum, der jenseits der bekannten Fronten liegt und in dem seelische Befreiung möglich wird.

Schlussreflexion

Die Debatte um die Legitimität eines palästinensischen Staates wird meist so geführt, als hinge alles an Israel. Vielleicht müsste die Frage anders gestellt werden: Wie können wir ein gemeinsames Narrativ schaffen, das beiden Seiten Würde und Zukunft ermöglicht?

Erst wenn die Kulturen des Nahen Ostens bereit sind, ihr kollektives Erbe und ihre Gegensätze dialogisch zu verarbeiten, kann sich eine neue Nachbarschaft bilden – frei von kolonialen Prämissen und herrschaftlichen Zuschreibungen.

Kurzüberblick in historischen Etappen

1918–1920
Zerfall des Osmanischen Reiches

1920–1947
Britisches Mandat

1947–1948
UN-Teilungsplan und Staatsgründung

1948–1967
Gründungs- und Folgekriege
1967–2005

Besatzung und Siedlungspolitik
2005–2023

Abzug aus Gaza und fortdauernde Konflikte
Oktober 2023

Hamas-Massaker und
aktuelle Eskalation

Nachbemerkung: Amerika hat in einer, dem kolonialen Wesen verwandten Weise, ebenfalls sein zu Hause auf einem fremden (den verschiedenen Inuits zugehörenden) Boden und kann sich dabei mit dem Israelischen Staat (wenn auch nur ganz versteckt) in einer gewissen Verbindung fühlen.

Autor: Werner Mikus

Weiterführendes ist per Klick hier zu lesen

und den folgenden zurückliegenden Beitrag zum Thema

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