Wir verwechseln schon mal gerne was!

Dinge beschreiben, die es im Seelischen gar nicht gibt

Wir haben uns in der Psychologie ein Beschreiben angewöhnt (und überhaupt, ein Hinsehen!) was einer Art von magersüchtiger Teilhabe am Geschehen gleichkommt, wo wir uns das Geschehen im Beschreiben doch einverleiben" wollen. So beobachten und beschreiben wir z.B. wie folgt: "er ist traurig". Traurigsein gibt es aber als Seelisches (als erlebbaren Zusammenhang) gar nicht, weil es eine Formalisierung ist: Das wirklich existierende Traurigsein ist z.B. ein "als ob ich Haus und Hof verloren hätte" oder ein "als wäre mir die Liebste gestorben" oder "als werde es nie wieder so werden können wie heute" oder...oder...oder.

Sprachliche Bilder oder Verwaltungsinstrumente

Das Wort Trauer oder traurig sein ist eine formale Zusammenfassung, man könnte auch sagen f1471 oder natürlich auch c7rr5. Ich spreche, wenn ich vom Seelischen spreche, immer von den "erlebbaren Zusammenhängen". "Erlebbar" und "Zusammenhang" sollen daran erinnern, dass es auch tatsächlich erlebbar ist (die Trauer ist es nicht, weil es eine Abstraktion ist, ich kann diesen Begriff als eine Formalisierung erleben, aber um den Begriff geht es ja nicht.

Erlebbare Zusammenhänge als Gegenstand der Psychologie

"Zusammenhang" meint hier, also im Kontext von "Erlebbar", dass es eine Menge! von Einzelheiten in einer einzigen Sache gibt, die wir als Erleben festhalten möchten und zwar eine solche Fülle, dass wir es nur  in einem Bild wie z.B. "als hätte er Haus und Hof verloren" tatsächlich fassen können, dann aber mit all seiner Überdetermination bzw. mit der entsprechenden Mischung aus Klarheit und Vagheit. Das ist hier wieder analog zur Quantenphysik zu verstehen: die Wahrscheinlichkeit ist als Ganzes voll zuverlässig (wellenartige Verteilung der Auftrittswahrscheinlichkeiten) der endgültige Ort aber bis ins Mark hinein unbestimmt (also nicht determiniert).

Alltägliche Kompensation und der Schuss nach hinten

Zum Schluss könnten wir uns noch fragen, warum wir eigentlich nicht mehr darunter leiden? Warum fällt  es uns  nicht Tag für Tag immer wieder störend auf, dieses ungenaue Beschreiben?. Ich denke, dafür gibt es einen einfachen Grund: Wir legen zu unseren alltäglichen Beschreibungen immer noch eine ganze Menge Kontext mit hinzu. Daher versteht uns der andere dann so Pi mal Daumen (durch Melodie, Gestik, Anspielungen sprachlicher Art, Nebenthemen, Vorausgeschicktes etc. -  alles das bildet kaum bemerkt den entscheidenden Erzählkontext) . Im Besten Falle also hilft dieses nebenher Gesagte und Getane uns, das Gemeinte irgendwie "herüberzubringen". Nicht selten dürfte es aber auch anders laufen, dass nämlich der Zuhörende mit seinen eigenen Einfällen zum Kontext des Gesagten auf das ungezügelt Großzügigste beiträgt.

Weil das eben so ist, hat sich auch bald ein Retter für diese Probleme gefunden (ein Retter, der mit wissenschaftlichem Anspruch auftritt): Rettung soll über ein Definieren kommen. Und so können wir dann weiter bei den formalisierenden (blutleeren) Begriffen bleiben. Wir hängen nur ein paar "Zettelchen" an dieselben mit dran. Wenn wir der Idee des Definierens nun tatsächlich folgen, sieht eine Beschreibung z.B. folgendermaßen aus:

Sein Tagesablauf ist von einer negativen Gefühlslage dominiert, einhergehend mit zunehmenden Interessenverlust und verschwindender Freude an Tätigkeiten, denen er sonst gerne nachgeht. Hinzu kommen Niedergeschlagenheit, Freudlosigkeit und Selbstzweifel, so wie Müdigkeit und Energieverlust neben Minderwertigkeitsgefühlen und Konzentrationsstörungen.

Irrwege

Die Alltags"sprache", die sich fast nur auf den Kontext verlässt und die "wissenschaftliche" Kunstsprache (Definitionen) sind beides Irrwege. Die sprachlichen Bilder sind der Kern einer psychologischen Beschreibung. Worthülsen lassen sich durch Kontexte nur behelfsmäßig lebendig machen. Und ein Drankleben von Zettelchen (Definitis) verschiebt die Probleme solcher Hülsen nur untereinander.


Autor: Werner Mikus



Bildquelle: Karikatur: Werner Mikus

Kommentare

  1. Ich verbinde "traurig" mit einem Gemütszustand, der sich oberflächlich betrachtet und allein noch nicht erschließt. Es kann Mitgefühl, beim miterleben des Leidens eines Mitmenschen oder Ereignisses sein, es kann aber auch tiefe seelische Verunsicherung nach einem erlebten Verlust sein. Der Tod eines geliebten Menschen, der Verlust des eigenen Arbeitsplatzes, damit verbunden die Sorge um die eigene Existenz, oder auch ganz etwas anderes. Viel mehr kann ich mit "Trauerarbeit" anfangen. Ich habe gelernt, dass dies ein Prozess ist, der oft in deiner zeitlichen Dimension unterschätzt wird. Denn es braucht manchmal viel Zeit, sehr viel Zeit, bis die enttäuschte, gekränkte, irritierte oder zumindest tief genug erschütterte Seele wieder zu einer stabilen Stärke zurückfindet. Die dabei wirklich erlebten Emotionen können z.B. Angst oder Wut sein. Wobei nicht bewältigte Angst auf Dauer zu einer Depression führen kann. Wut dagegen, ich spreche hier nicht von "blinder Wut", sondern lediglich von der einem gerade wieder selbst, tief in meinem Inneren erlebten Gefühl, kann daher in der Trauerarbeit hilfreich sein. Sie setzt jedoch eine, ich würde es Basisstabilität der individuellen Psyche voraus. Ein wohl dosierter Umgang mit der Wut motiviert uns zu Handeln. Und erst das hilft uns Trauerarbeit mit einem für unser Befinden positiven Ergebnis zu beenden. Mehr zu meinem persönlichen Erlebnis möchte ich hier nicht preisgeben. Wenn Du mehr wissen willst, gerne per Mail. Meine Adresse: michael.philipp@koeln.de.

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  2. Ja, lieber Michael, so was wie Trauer erschließt sich tatsächlich nicht so leicht. Und deshalb ist auch die Rede von der Trauerarbeit etwas, das nicht weniger schwer zu verstehen- und zu handhaben ist. Trauerarbeit wäre ja erst einmal ein explizites Umgehen mit dem, was den tatsächlich erlebten Zusammenhang ausmacht. Und das ist schon schwer genug - muss ihm doch eine wirkliche Bühne gegeben werden, dem Erleben, statt auf die sich anbietenden Angst- und Angstabfuhr-Programme abkürzend hereinzufallen. Das Wort „Trauerarbeit“ erhebt darüber hinaus aber auch noch einen besonderen Anspruch: Sie will ja nicht nur irgendein Umgang mit der Trauer sein, sondern ein SINNVOLLER Umgang - einer der etwas erreichen will (und so ist auch dieses Ziel noch zu bestimmen).
    Trauerarbeit. Ein sehr kompliziertes Gebiet also - wenn wir ehrlich sind. Aber das mit den vielen Schritten, die es dabei zu gehen gilt, klingt für mich schon mal sehr richtig und auch dass dabei so unschöne Dinge wie die Wut eine wichtige Rolle spielen. Danke Dir schon mal für Deine Denkanstöße hier. :-)

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