Ein "Apropos"-Beitrag
In der alten griechischen Mythologie,
bilden die Titanen den Kontrast zu dem, was unter dem Schlagwort
„Dionysos als Prinzip“ zu verstehen ist. Ausgangspunkt ist im Folgenden nicht eine nachsokratisch
glattgezogene Fassung dieser Mythen, welche immer noch weitgehend unser
heutiges Verständnis dieser Zusammenhänge bestimmt. Ein Zitat aus einem ausgewählten
Text (Griechische Mythen; F.G. Jünger) spricht für sich selbst:
"Das titanische und dionysische Werden sind nicht eins, und auch die
Wiederkehr unterscheidet sich bei ihnen. Die Wende, die mit dem Dionysos
beginnt, hat einen anderen Weg und ein anderes Ziel. Sein Werden ist nicht die
nicht endende elementare Wiederholung, in welcher Gang und Bewegung der Titanen
aufgeht, ohne darüber hinauszureichen. Dieses tellurische Wirken furcht die
Erde nur auf und zieht wie das Spiel der Wetter über sie hin. Dionysos ist
nicht nur ein Gott der Wende, er ist auch ein Gott der Wandlung, durch den dem
Werdenden das Gewordene als Widerspruch ins Bewusstsein kommt. Er hebt
Vergangenheit und Zukunft aus den Angeln und schafft einen Zugang zur zeitlosen
Gegenwart. Die dionysische Ungenügsamkeit ist eine andere als die titanische.
[...]
Bei den Titanen gab es keine Feste. In dieser Welt einer ehernen Notwendigkeit
ist nichts Festliches, wie in ihr nichts Tragisches und Komisches ist. Es ist
ein großer, roher Ernst in den Titanen, nicht nur, weil sie blind auf das
vertrauen, was sie sind, sondern weil hier jeder nur sich kennt und keiner
etwas von dem anderen wissen will. Jeder bewegt sich in der ihm eigenen Bahn.
Dionysos aber ist Gemeingeist, Dionysos bringt die Tragödie nicht nur hervor;
er ist im Unterschied zu den Titanen selbst ein tragischer Gott und zugleich
der Herr der Feste und phallisch festlichen Aufzüge. Der tragische und der
komische Konflikt gehen aus seinem Wirken hervor; sie kommen mit der Zeit und
dem neuen Zeitbegriff, den er bringt. Daher ist er auch der Herr der Geschichte
und macht dem geschichtslosen Werden ein Ende. Er stiftet jene Zäsur, durch
welche Geschichte erst möglich wird. Es ist das nicht leicht zu fassen, es sei
denn, man begreife, dass alle Geschichte etwas voraussetzt, das ihr selbst
nicht angehört. Bliebe es bei dem Kreislauf der Titanen, dann könnte es keine
Geschichte geben. [...]
Dort, wo alles als notwendig gedacht wird, ist keine Freiheit gegeben; es regt
sich nicht einmal das Bedürfnis nach ihr. Wo aber der Geist, der sich zum
Spiele geschickt weiß, einmal dieses Bedürfnis gespürt hat, dort kommt er nicht
wieder von ihm los. Die Macht und Anziehungskraft des titanischen Werdens ist
nicht von dem Durst und der Leidenschaft nach dem Schönen durchdrungen. In ihr
entsteht kein Überschuss und Überfluss, denn die Kräfte verzehren sich in ihrem
Wirken, und wenn sie sich beständig erneuern, so geschieht es, um von neuem dem
Verzehr anheim zu fallen. Die Titanen kennen nicht die Muße. Dionysos entzieht
sich ihrem Wirken, das ihn nicht beschäftigen kann. Er ist ein Gott des
Überflusses und spendet Überfluss, wohin er kommt. Von ihm gehen Reichtum,
Trunkenheit, Vergessen aus. Die Titanen schenken niemandem etwas; sie teilen
sich nicht mit, sondern verharren in unzugänglichen Behausungen, aus denen
keine Frucht wegzutragen ist. Sie pflegen und hüten den Menschen nicht.
Dionysos aber ist ein Pfleger. Als Volkspfleger und Festordner, als Pfleger des
Weinbaus und der Ackerfrucht, als Gatte der Ariadne entfernt er sich weit von
allem Titanischem."
Ein weit verbreitetes Denken, was aus dem landläufigen Bild vom allein wilden
Dionysos ausgeht, glaubt, dass es einen ordnenden Pol als Gegenpol zu dem
"Prinzip Dionysos" geben müsse. Die bewahrenden Kräfte, die hier als
Kandidat für den Gegenpol in Frage kämen, sind aber im Dionysos selbst schon
eingebunden: Er ist der Pfleger der Äcker und Weingärten, der Ordner auf den
Festen, wie wir im Text oben schon gesehen haben.
Die bewahrenden Kräfte fehlen ihm nicht,
sie stehen im Dienst eines anderen Zieles
Das gängige Polaritätsdenken verhindert aber, das zu sehen! Ein Denken in
Dienstfunktionen ist die Alternative zur formalen Polarität und kann "zwei
in Einem" denken und muss nicht spalten, um das Abgetrennte dann hintenrum
doch wieder hineinzubringen.
Auch Nietzsche, der sonst so bildgenau auf ein neues Denken abhebt, verführt
durch sein früh-werkliches "Apollo gegen Dionysos" zu einem Denken in
Polaritäten (was aber seinem Denken nicht wirklich eigen ist). Freud machte es
ihm nach und kam zu der Polarität von Eros und Thanatos. Im vorsokratischen
Mythen-Verständnis hat Dionysos ebenfalls einen Widersacher und zwar in Gestalt
des Titanischen. Dionysos und die Titanen stehen aber nicht in einem polaren
Verhältnis zueinander. Vielmehr zeigt sich z.B. in der Natur des "Umwendens"
etwas Gemeinsames auf beiden Seiten, das aber in verschiedenen Diensten
stehend, auch zu etwas je Verschiedenen führt: Im Titanischem soll den
Ungeheuerlichkeiten von Verwandlung durch den ewig sich wiederholenden Kreis
der Jahreszeiten gleichsam der Boden entzogen werden, während es im
Dionysischen um die Kultur des Umbrechens selber geht, womit die entsprechenden
Ungeheuerlichkeiten eingeschlossen sind. Im Dionysischen stellt sich uns ein
Prinzip zur Verfügung, das auf unauflösbar komplexe Verhältnisse sowie auf Komplexität
und Endlichkeit ausgelegt ist.
Bildverweis: http:/https://paintingdionysos.files.wordpress.com/2011/12/homepage-image.jpg
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