Ein Grimmsches Märchen und ein Zufall verbünden sich politisch (2014 auf der Bühne Ukraine-Europa-Russland).
Beispiel für ein atmosphärisches Wetterzeichen:
Im Mai 2014 gab es im European Songcontest einen Gewinnersong mit dem Titel
"Rising like a Phoenix", der über die Anspielung an ein Grimm‘sches
Märchen eine atmosphärisch dichte Verbundenheit in der politischen
Großwetterlage spürbar machte – auch wenn es zuvorderst um einen Musikwettbewerb
und ein entsprechend anderes Thema gegangen war. Für die aktuelle Lage im oben
genannten Problemfeld heute fehlt uns eine vergleichbare atmosphärische
Verdichtung - aber wir sind nicht mehr weit davon entfernt. Worum ging es
damals?
Zu Beginn des Jahres 2014 sah es schlimm aus in der Ukraine.
Die Welt war beunruhigt über die Einmischung Russlands in die Angelegenheiten
der Ukraine. Diese stand seit sechs Jahren in Verhandlungen mit der EU und hatte
eine Freiheitsbewegung hervorgebracht. Man fühlte sich zum Westen hingezogen
und wollte sich losmachen vom Gegängeltsein durch eine Autokratie und auch von
der direkten Einmischung Russlands (Manipulierbarkeit Janukowytschs durch
Russland). Am 18. Febr. 2014 gab es achtzig Tote auf dem Maidan. Inzwischen war
der Präsident wortbrüchig geworden (Unterzeichnung der Verträge zur Annäherung
an die EU wurden von ihm abgelehnt) und er war nach Russland geflohen. Russland
besetzte wenig später die Krim und spaltete die Ukraine in ein Ost und West
durch die Verschickung von terrorstiftenden Söldnern in die Ostukraine
(Donezgebiet).
Zu dieser Zeit standen in der Ukraine
Wahlen an.
Die Welt war mit voller Spannung auf das Geschehen in dieser Region
gerichtet. Diese Spannung war atmosphärisch europaweit präsent. Da fand auf dem
59. European Song Contest (11.05.2014) ein Ereignis statt, dass genau diese
Stimmung aufgriff und auf großer europäischer Bühne diese in einen umjubelten
Auftritt verwandelte - gut versteckt allerdings hinter einem anderen Thema, dem
Thema einer sich selbstbewusst ins Bild setzenden Homosexualität. Die aktuelle
Stimmung, welche die zum Songwettbewerb sich treffende europäische Welt damals
zutiefst bewegte, fand einen Ausdruck. Über den Song „Rising like a Phoenix“
wurde das Grimm‘sche Märchen vom Machandelbaum (Wachholderbaum) wie eine Formel
auf die drückende aktuelle Situation anwendbar. Diesen Gedanken habe ich in
kleineren Kommentaren an verschiedenen Stellen im Netz bereits dargestellt. Es
wäre schade, wenn er in den Weiten des Internets verloren gehen würde. Deshalb
greife ich den Gedanken hier noch einmal auf.
Es lag damals etwas diffus Bedrohliches in der Luft.
Und die westliche Welt hielt mit der Befreiungsbewegung auf dem Maidan in der
Ukraine. Auf dem Eurovision Song Contest im Mai 2014 gewann ein Song mit dem
Titel "Rising like a Phoenix", gesungen von Conchita Wurst (alias
Thomas Neuwirth). Dieses Lied gewann mit einem lange nicht dagewesenen Punkteabstand,
eingebracht von einem Land (Österreich), das seinen letzten ESC-Erfolg zuletzt
1966 mit Udo Jürgens gehabt hatte. Das Lied behandelt latent das immer noch aktuelle
Ukraine-Russland-Problem mit seiner besonderen Einbettung in die Entwicklung
Europas - unterschwellig und auf eine märchenhafte Weise.
Hier erst einmal eine Kurzfassung des Märchens, auf das der Titel des Liedes
Bezug nimmt:
Eine Mutter schlägt ihrem Stiefsohn in einem Anfall von Neid den Kopf ab. Sie
kann es nicht ertragen, dass er in ihren Augen schöner ist als die eigene
leibliche Tochter, welche ihren Bruder allerdings innig liebt. Vom Bösen
persönlich angestiftet, lässt sie den Deckel einer Kiste in dem Moment
zufallen, als sich der Junge geradezu bedrängt durch ihren Auftrag, in diese
hineinbeugt, um den versprochenen Apfel für sich herauszuholen. Doch damit
nicht genug. Mit einer zweiten List lässt sie die Tochter glauben, dass diese
selbst dem Bruder den Kopf abgeschlagen habe und zwar mit einer Ohrfeige in
einem Moment der Unbeherrschtheit. Der Kopf war aber von der Mutter auf den
Rumpf des toten Bruders nur aufgesetzt worden. Das Fleisch des Jungen
zerstückelnd setzt sie dem Vater als eine Art von Sülzspeise zum Abendessen
vor. Der Vater, nichtsahnend, nimmt das Fleisch seines Sohnes zu sich mit
mehrmals erklärtem großen Genuss. Das Schwesterchen kümmert sich um die
übrigbleibenden Knochen ihres Bruders und vergräbt sie unter dem
Wachholderbaum, wo schon seine Mutter begraben liegt.
Im Folgenden erhebt sich der Junge als hell
erstrahlender Vogel Phönix aus den Wipfeln des Machandelbaumes. Er ist
farbenprächtig und singt ein wunderschönes aber auch trauriges Lied. Er singt
von dem, was ihm widerfahren ist. Und alle, die es hören, wollen es noch einmal
hören, und sind dafür bereit, ihm je ein Geschenk zu machen. Der Schuster
schenkt ihm ein paar rote Schuhe, der Schmied eine schöne goldene Kette und der
Müller einen Mühlstein. Mit diesen Geschenken fliegt der Vogel Phönix nun zu
seiner Familie zurück. Der Schwester wirft er die roten Schuhe herunter, dem
Vater die goldene Kette und der Mutter, die schon ahnt, dass etwas Schlimmes
auf sie zukommen werde, den Mühlstein. Im aufstiebenden Nebel der sich
auflösenden Mutter, tritt der aus dem Phönix wieder rückverwandelte Sohn in
Erscheinung. Und alle drei haben ein glückliches Leben miteinander.
Die Parallelen zwischen dem Geschehen im Märchen und
dem Zeitgeschehen sind schnell erzählt:
Da ist zunächst erst mal der Neid von Mütterchen Russland. Es ist neidisch auf
das Stiefkind, die Ukraine, denn die EU interessiert sich für dieses Land,
nicht aber für die russische Föderation. Dann ist da das Land (Ukraine), das
seinen "Kopf" verliert (seine Führung verliert via Hauptstadt Kiew -
Präsidentenflucht); die Zerstückelung des Landes: erst die Abtrennung der Krim,
dann weitere Abtrennungen über das östliche und südliche Land hinweg; die
rauschartigen, vaterländischen Gefühle der Russen und der sich russisch
fühlenden Menschen angesichts der
Krim-Einverleibung; dann das hinterhältige Hinein-Manövriert-Werden der
Schwester (Schwesterchen = Westen) in ein Schuldgefühl bezüglich der
einbrechenden Katastrophe (Sturz von Janukowytsch mit allen seinen Folgen): im
Märchen hatte die Mutter dem Jungen ja in einem Neid-Anfall (weil dieser so
begehrt und dabei doch nicht vom eigen Fleisch und Blut war) den Garaus gemacht
und darauf gezählt, dass das Schwesterchen ihm (beleidigt, weil dieser nicht
reagiert) einen Klapps versetzen werde, so dass der künstlich draufgesetzte
Kopf dann durch es zum Abfallen käme: Im Märchen fragt das Schwesterchen
zunächst nicht unhöflich nach einem Entgegenkommen des Bruders (Apfel), bekommt
aber von ihm, weil doch schon sein Kopf abgetrennt ist, keine Antwort, worauf es
ihm ungeduldig und ermuntert durch die Mutter eins auswischt, so dass der Kopf
des Bruders fällt.
Wenig später bekommt der Vater nichtsahnend auch noch sein
Eigen Fleisch und Blut als Speise vorgesetzt. Nach der rauschartigen
väterlichen Einverleibung (der vaterländisch aufgewühlte Russe verschlingt ohne es zu
wissen seine eigene, selbstbestimmte Zukunft durch die Freude an der ihm
bescherten Annexion) steigt der grade noch Untergegangene
wie der Vogel Phönix wieder auf und zwar aus dem Wacholderbaum, wo schon die
Gebeine seiner leiblichen Mutter liegen (nachdem das Schwesterchen die übrig
gebliebenen Knochen genau da hingebracht hat). Und er sorgt dafür, dass jeder
am Ende auch das bekommt, was ihm zusteht. Aber das gelingt ihm erst, nachdem
er sein Lied (sein Leid) gesungen und dafür auch die Ohren der Menschen
gefunden hat. Man will mehr hören! Und daraus erwachsen ihm erst die Gaben, die
dann auf eine einfache Weise die Ordnung wiederherstellen, eine Ordnung, die
komplett aus den Fugen geraten ist: Ausgangspunkt ist ein aus der Kontrolle
geratener Neid einer sich im gleichen Zuge verselbstständigen und falschen
Mütterlichkeit.
Das Märchen vom Machandelbaum ist die Matrix, auf der
dieser Auftritt,
der uns allen irgendwie "komische" Gefühle macht,
funktioniert:
Es läuft in der aktuell politischen Realität genau wie im Märchen:
Es liegt etwas Ungeheuerliches in der Luft, als der Vogel auf das Haus zu
fliegt. Es wirkt wie Etwas, das (a) mühlsteinschwer über uns schwebt und auf
uns herunterfallen möchte, oder aber auch (b) wie etwas, das wie die roten
Schuhe im Märchen aus den Klauen des Vogels auf uns herunterfallen möchte, um
uns zu sagen: "Dichtet Euch keine Schuld an, wo Ihr sie überhaupt nicht
habt, sondern freut Euch vielmehr Eurer europäischen Wohlgeratenheit und tanzt!
- oder (c) wie etwas, analog der Bürgermeister-Kette, die herunterfallen
möchte, um allen denen, die unschuldig sich in vaterländisch-russischen
Räuschen noch benebeln mögen, sagen zu können: Hier, ihr seid dazu berufen, für
eine bodenständig gelebte demokratische Kultur zu stehen mit besonderen
menschlichen Zügen.
Versuchen wir in Fühlung zu gehen mit dem, was sich atmosphärisch aufbaut
rund um die Ereignisse die uns zum Thema Ukraine und Russland mehr und
mehr begegnen werden. Wir werden so den zu uns sprechenden Zufall, der sich
garantiert einstellen wird, beim Schopfe fassen und dann auch unsere
Orientierung finden.
Áutor: Werner Mikus
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