Vom Unbewussten zum Atmosphärischen

 


Mit der Ausrichtung unseres Blicks auf das Atmosphärische kommt ein neues Verstehen in die Welt. Wenn wir uns einfach einmal auf die Schultern unserer psychoanalytischen und gestalthaften Vor-Denker stellen und die Neugier dabei mitnehmen, können wir mit etwas Glück einen tief berührenden Blick auf die seelische Landschaft werfen, die es noch zu erschließen gilt.

Vorüberlegungen
Bewusste und unbewusste Prozesse steuern unsere Werke. Sie sind Werkmeister unserer Erledigungen. In allem, was wir tun ist aber noch eine andere Wirkkomponente entscheidend mit am Werke. Diese hat mit einem Prozess zu tun, der im Tagesgeschehen vollkommen übersehen wird, wo es anders als das sogenannte Unbewusste vollkommen unsichtbar mit hineinspielt. Es stellt sich beinah unmerklich in den Dienst des Gesamtgeschehens, welches sich eindeutig im Modus des Erledigens befindet.

Wenn der Mensch schläft und Träume produziert, befindet sich sein Tun in einem davon abweichenden Modus, dem Entfesselungsmodus. Zusammenhänge, die unsere gelebte Wirklichkeit bestimmen, werden hier aus ihren zwingenden Verbindungen herausgebracht und können ein Eigenleben führen. Die Muskeln, die sonst der Erledigung bestimmter Aufgaben im seelischen Tagesgeschehen dienen. sind von den entsprechenden Bindungen losgebunden (entfesselt im Sinne von freigesetzt, ihrem eigenen Bedürfen nachzugehen). Die Bedeutungen, welche die Werke in denen wir stecken, zusammenhalten, werden ebenfalls davon entbunden und entwickeln so ein Spiel hin zu neuen Verbindungen und zu anderen Sinngestalten. Das beschreibt in Kürze das, was in einem Entfesselungsmodus geschieht.

Wie mischt das Entfesseln im täglichen Geschehen dennoch mit?
Das Tagesgeschehen findet im Erledigungsmodus statt. Der Entfesselungsmodus ist aber indirekt mit dabei. Er sorgt dafür, dass es für alle Entwicklungen immer einen Hof an Möglichkeiten gibt, Möglichkeiten, wie sich die Dinge entfalten könnten. Mit jedem ersten Ansatz zu einem Tun wird eine Kaskade an Möglichkeiten der Entwicklung entfesselt. Und dieser Hof von Bedeutungen ist in den Erledigungen unserer Tagewerke permanent mitbeteiligt. Wir erfahren ihn über das, was wir das Atmosphärische einer Situation nennen.

Die Zielsetzungen im Erledigen erhalten ständig Querschläger, die das angezielte eigentlich sofort zu einem Scheitern bringen müssten. Wenn nicht alle unsere Ansätze zu irgendwelchen Taten einen Bedeutungshof mit sich trügen, der wie eine Korona unsere Ansätze umstrahlte, würden unsere Werke tatsächlich rasch hintereinander und schon in den Ansätzen scheitern. Unser Tun wäre ein einziges Agieren, also ein Springen von einem Ansatz zum anderen. Ein Chaos wäre entfesselt. Entfesselung würde aber eher zum Wesen der Schlaf- und Traumverfassung passen, und nicht in ein Tagesgeschehen, in welchem der Erledigungsmodus das Sagen hat. Eine solche, sich zerlegende Entwicklung, wird aber in unserer Tagesverfassung gerade vermieden, und zwar deshalb, weil sich die Entfesselung ganz wörtlich genommen hier in den Dienst des Erledigen-Könnens stellt.

Das Atmosphärische und der Hof an Fortsetzungsmöglichkeiten
Das Ganze gelingt über etwas, das wir nur atmosphärisch mitbekommen, nämlich über den immer anwesenden Hof an Potenzen, der den ständig auf Behinderungen stoßenden Ansätzen folgt. Diese werden jetzt wie ein Fundus genutzt, der Fortsetzungsmöglichkeiten bereithält. Fortsetzungsmöglichkeiten welche das scheinbar verhängnisvolle Ereignis in eine sinnvolle Entwicklung umbilden können durch eine geringfügige Veränderung in der Aktualisierung und Fortsetzung des Geschehens. Das im potenziellen Folge-Geschehen umgewertete Missgeschick kann dabei so behandelt werden, als wäre die geänderte Ausrichtung des Geschehens eigentlich von Anfang an schon die Zielrichtung gewesen. Zu dieser Befestigungsmethode gehört allerdings unbedingt dazu, dass in dem Gesamtgeschehen zuletzt auch genau das Tun aufgesucht und hergestellt wird, was dem scheinbar verhängnisvoll Vorangegangenem einen dementsprechenden Sinn verleihen kann. Es muss am Ende immer das Kontinuität herstellende Gefühl dastehen, Entwicklungsmitte und -quelle zu sein. Kurz: Wir merken nicht die Umdichtung durch das In-Anspruch-Nehmen der mitgeschleppten Entwicklungspotenziale unserer seelischen Gesamtverfasstheit (welche den Hof von Möglichkeiten wie ein entfesseltes Drumherum immer mit einbezieht).
Zusammengefasst: Der Modus der Entfesselung hat sein stabilisierendes Mitwirken genau da, wo es eigentlich doch um Prozesse geht (um Erledigungen nämlich), die am weitesten von dem entfernt sind was dem eigenen Modus entspricht. Dieses Wirken ist von einer ganz anderen Natur als das Wirken unbewusst gemachter Antriebe in unserem Leben (Triebe / versteckte Motive).

Wissenschaftsentwicklung in zwei Schritten
Das Unbewusste. 
Seelisches ist erst durchgehende Wirklichkeit, seit ihm Freud eine unbewusste Natur nachgewiesen hat (was über die Traumarbeit geschah). Er konnte zeigen, dass das Seelische auch dort weiterlebt und wirkt, wo das Bewusstsein seine Macht abgegeben hat, im Schlaf z.B. Wie die Gesetze der physikalischen Natur so verschwinden die Gesetze des Seelischen auch nicht einfach, etwa wenn der Mensch sich schlafen legt und träumt - die unbewussten Prozesse garantieren die Durchgängigkeit der seelischen Natur.

Das Atmosphärische 
weist nun darauf hin, dass die Natur des Seelischen sich nicht in Analogie zu den Gesetzen verhält, die wir in den raumzeitlichen Gesetzen einer physikalischen Wirklichkeit finden. Das Atmosphärische macht nämlich auf einen in allen Ansätzen vorhandenen Hof von Bedeutungspotenzialen und Geschichten aufmerksam, die als ein Zeichen dafür stehen, dass anstelle kausal ablaufender Entwicklungen tatsächlich immer eine bedeutungsorientiert nachschaffende Sinnbildung im Seelischen stattfindet.
Was mich an dieser Stelle im Weiteren und ganz besonders interessiert, ist zu verstehen, wie es diesen Entwicklungen gelingt, ihr besonderes Wesen der unmittelbaren Kontrolle unseres Bewusstseins (im Geschehen selber) zu entziehen. Wir merken von der Verdrehung im Unmittelbaren nämlich nichts.

Werner Mikus



Bildquelle::
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8f/TeleskopOrangerieKassel.jpg?fbclid=IwAR2on1sVCZqcnyGAaiOvAJ8HhzyNdCVXi181oPEEZA6c_BcUgQrkrqUwloM

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