Rettungsversuch - wenn Seelisches droht, sich selbst nicht mehr zu verstehn
Ein "Apropos"-Beitrag
Menschheit auf der Flucht – und Entfesselung des
Ganzen
Problem und die naheliegende aber abkürzende Lösung
Das Seelische hat die Angewohnheit, immer dann wenn es sich selbst nicht
mehr zu verstehen droht, nach etwas zu greifen, was die Dinge schnell wieder in
die Reihe bringt. Leider ist dieses Mittel dann meist von einer nachhaltig
negativen Natur. Aber wie kommt es dazu? Der Mensch möchte sich nicht verlieren
und in einen Zustand geraten, in welchem die Verhältnisse, die ihn tragen,
plötzlich beginnen, auf eine entfesselte Weise ihr Wesen zu treiben (und das
gilt nicht nur für die ganz persönlichen, sondern auch für die übergreifenden,
gesellschaftlich-politischen Verhältnisse). Bevor es erst richtig dazu kommt,
„erfindet“ sich das Seelische eine Art von Problem oder Krankheit - also ein
irgendwie benennbares Leid - frei nach der Methode "Haltet-den-Dieb".
Jetzt weiß das Seelische endlich wieder, wie dann doch alles zusammengeht -
wenn nur dies und das getan und verändert werden könnte. Das Unheimliche eines
sich nicht mehr Selbst-Verstehenden Ganzen ist damit erst einmal gebannt.
Was ist der Preis dafür?
Die Frage nach dem Preis, den wir am Ende dafür bezahlen müssen, ist leicht zu beantworten: Man hat sich von nun
an dauerhaft "verloren", verloren in einem Programm, das von nun an alles nach seinem Regime bestimmen will. Und dass sich so etwas auch in den übergreifenden Prozessen politisch-gesellschaftlicher Art ereignen kann, lässt sich an dem folgenden Beispiel aus der jüngsten Geschichte zeigen. Das Beispiel macht zugleich sehr schön deutlich, wie die Bilder des Geschehens auf genau die Dinge hinweisen, die in einer Auseinandersetzung mit dem Ganzen ausgeklammert und nicht zugelassen werden.
Sich verloren haben
Der Betroffene hat sich also "verloren" in einem Programm, das alles
Weitere bestimmen will. Was wäre in diesem Fall aber angebracht zu tun? Der
Betreffende müsste erkennen, dass sich sein Rettungsversuch verkehrt hat in ein
Kranksein und ein Festmachen allen Übels an einer "Stelle". In dem
"Projekt" einer therapeutischen Arbeitsbeziehung kann dies geschehen:
Hier kann der Betreffende erfahren, dass er sich sehr wohl seiner seelischen
Wirklichkeit im Ganzen zuwenden kann, ohne dabei in den befürchteten
Verhältnissen unterzugehen. In einer Psychotherapie wird der Betroffene seine
Abkürzungsmethode wie auch sonst anzuwenden versuchen. Hier wird er aber nicht
damit in einen Stillstand von Entwicklung hineingeraten. Das liegt daran, dass
er in der gemeinsamen Arbeit mit dem Therapeuten (Therapie-Projekt) erfährt,
wie etwas nachträglich! einen ganz anderen und neuen Sinn erfahren kann. Und
das, obwohl sich das Seelische in einer nicht ungefährlichen Abkürzung verloren
hat - einer Entwicklung, die sich auch im gemeinsamen Projekt der Therapie
durchsetzen würde, wenn nicht der Therapeut in der Lage wäre, auf die bisher
ungenutzten aber doch vorhandenen Spielräume im Methodischen des Klienten
einzugehen.
Abkürzungsmethode
Die so auf die therapeutische Bühne gebrachte Verselbständigung der
Abkürzungsmethode ist es aber gerade, die den Betroffenen im Weiteren nun zu
einer haltungsrelevanten und lebensverändernden Erfahrung bringt. Und diese
Haltung sagt, dass alle Sinnbildung nachschaffend ist und es allein darauf
ankommt, dass wir dem Vorausgegangenen durch das ihm Nachfolgende einen Sinn
verleihen. Genauer gesagt: Das was am Ende dasteht, gibt dem Vorangegangenen
immer erst seinen Sinn; Und das, was dann dasteht (das Werk, die sinnschaffende
Tat) muss für sich selbst sprechen, das ist wichtig: Es lässt sich nicht durch
ein Schöndenken oder einen noch so geschickten Psychotrick ersetzen.
Tatsächlich machen wir aus den unglücklichen Abkürzungsversuchen, die uns
zuletzt in die Therapie getrieben haben, auch dadurch schon etwas, dass wir sie
entschlossen zum Anlass nehmen oder genommen haben, an einer neuen krisenbereiteren
Haltung zu arbeiten.
Eine neue Haltung wird entwickelt
Der zweischneidige Rettungsversuch wird zwar als dumme Abkürzung erkannt,
aber kann im Weiteren, durch die Entwicklung einer neuen Haltung, auch
liebevoll gewürdigt werden. Dieser zweischneidige Rettungsversuch erhält also
durch das Nachfolgende erst seinen definiten Sinn (und deshalb kommt es grade
auf das was nachfolgt an und nicht auf ein Herumdoktern am Leiden selbst).
Danach läuft das Seelische gleichsam "gesund" weiter mit seinen neuen
Veränderungsspielräumen bis es sich möglicherweise noch einmal auf ähnliche
Weise verliert. Es ist interessant zu sehen, dass es sich hier um Verwicklungen
handelt, die sich auch in den übergreifenden Zusammenhängen einer erweiterten
seelischen Wirklichkeit aufzeigen lassen, also auch im Bereich des
politisch-gesellschaftlichen Geschehens.
Zum Schluss - eine wichtige Voraussetzung für alles
Unsere Zeit hat nicht gelernt, den "Dingen" selbst etwas
Seelisches zuzugestehen. Das Buch, der gute Film, oder auch der erwachende
Frühling in der Natur z.B., das sind alles "Dinge", die eine Wirkung
tun. Die machen etwas mit uns. Gestehen wir diesen Dingen aber keine eigene
seelische Wirklichkeit zu, dann fehlt uns etwas Entscheidendes:
Es existieren dann eben nicht diese wunderbaren "Dinge", die uns
durch ihre "Fürsprache" in manchen Fällen gleichsam erlösen bzw. von
andrängenden Zweifeln befreien können. Es gibt dann nichts (außer uns
Ich-Riesen selbst) das uns "an die Seite nehmen" und zu uns
"sprechen" könnte: "Hey, das, was aus "mir" jetzt
geworden ist (und es spräche dann das unerwartete Ergebnis einer bestimmten
Sache selbst) das habe ich genau dem Ereignis zu verdanken, das 'gestern' für
"uns" noch ein Missgeschick und Unglück war."
Wenn wir dem Seelischen also nicht eine eigene, bewertende Wirklichkeit
zugestehen wollen, die (locker gesagt) eben auch "außerhalb" von uns
selbst existiert, und mit der wir - ohne große Schwierigkeiten - auch in einem
guten Kontakt stehen können, dann sind wir allerdings auf uns selbst zurückgeworfen
und damit hoffnungslos überfordert. Die Dinge müssen vielmehr selbst zu uns und
zu der Welt überhaupt "sprechen" dürfen: Sie sagen uns z.B. "Gut
gemacht, so macht es einen Sinn" oder natürlich auch umgekehrt. Wenn wir
den "Dingen" so etwas nicht zubilligen, praktizieren wir am Ende nur
eine gut verkleidete Form vermeintlicher Überlegenheit, oder böse ausgedrückt,
menschlicher "Hybris", die am Ende auch noch unsere Natur
kaputtmacht.
Autor: Werner Mikus
Bildquelle:
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