Widersprüchliche Stimmigkeit - Grundqualität seelischer Realität
Das Prinzip einer unaufhebbar widersprüchlichen Stimmigkeit
Der Blick einer Bildanalytischen Psychologie auf die
Wirklichkeit ist ein Denken in Paradoxien. Entstehen und Werden sind in einer widersprüchlichen
Stimmigkeit eingebunden (gefangen).
Wie kann man sich das an einem Beispiel
vorstellen?
Jemand ist verabredet und erwartet eine
Person, in die er sich möglicherweise bereits verliebt hat. Die Erwartete lässt
aber auf sich warten und zwar sehr lange. In diesem Falle kann es passieren,
dass der Wartende sehr ins "Leiden" kommt. Er befürchtet, dass seine
Liebe vielleicht nicht erwidert wird. Gleichzeitig geschieht aber noch etwas
davon sehr Verschiedenes: Der Wartende wird sich nämlich zur gleichen Zeit einer
offenbar schon bestehenden "Bindung" zu der Person bewusst und gerät
dabei in die entsprechend zugewandten Gefühle - verhält er sich doch in seinem
Bangen wie jemand, der den Anderen schon wie einen "Teil" von sich
betrachtet. Wenn sich dieses gute Gefühl eines "Habens" mit dem
gleichzeitig zunehmenden Gefühl eines Mangels jetzt wie in einer Verrechnung
zusammenfinden würde, müsste dann nicht etwas von beiden sich gegenseitig
aufheben und in der Summe etwas "Kleineres" dabei herauskommen!? Wie
wir wissen, verhält sich das Seelische aber gerade nicht so: Die
entgegengesetzten Gefühlsverhältnisse bleiben vielmehr auf eine eigene Weise
erhalten! Kurz: Das Warten tut so richtig "schön" weh.
Dagegenhalten ändert nichts - aber so
entsteht Kultur
Der Mensch in unserer Kultur deutet die
Widersprüche in den Paradoxien gerne als etwas Vorübergehendes und setzt
darauf, sich irgendwann von ihnen freimachen zu können. An dem genannten
Beispiel kann man sich deutlich machen, dass dies prinzipiell nicht gelingen
kann: Der Widerspruch ist konstitutionell - nicht nur im geschilderten Beispiel,
sondern überall. Das führt zu einem wichtigen Grundsatz: So wie es in der
Physik den Satz der Energieerhaltung gibt, so gibt es in dem bildanalytischen
Denken die Widerspruchs-Erhaltung: Die Widersprüche verändern ihre
Erscheinungsformen, sie verschwinden aber nicht wirklich. Wir Menschen suchen jedoch
unentwegt dieser Natur ein Schnippchen zu schlagen. Mit großem
Erfindungsreichtum entwickeln und erfinden wir alle möglichen Wege und
Methoden, die uns am Ende doch noch die erfolgreiche Befreiung aus diesem
Dilemma versprechen wollen. Die Widersprüche aber bleiben. In der Summe
entsteht merkwürdigerweise etwas recht Brauchbares dabei: unsere Kultur.
Das Komplexe macht das Einfache - und
nicht umgekehrt
Alle Zusammenhänge, die wir als erlebbar
bezeichnen, sind von bildhafter oder genauer gesagt, von sprachbildlicher
Natur. Und jedes einzelne Bild ist in der Lage, ein Gleichnis für etwas Anderes
zu werden. Auf diese Weise bringen sich die "Dinge" zum Sprechen. Sie
zeigen ihr eigenes Verstehen von Wirklichkeit (Bildverstehen), wenn sie sich
als Gleichnisse gegenseitig ausprobieren. Dabei bringt sich eine
"widersprüchliche Stimmigkeit" ins Bild, die uns nahelegt, auf das
Verhältnis von "einfach und kompliziert/komplex" nochmal neu zu
schauen. Und dabei erkennen wir Folgendes: Das, was als einfach und
ursprünglich erscheint, leitet sich aus komplexen Zusammenhängen her und nicht
umgekehrt. Hierauf hat der Philosoph und Mathematiker Alfred North Whitehead bereits
hingewiesen - dieser hat sogar ein dementsprechendes neues Denken
herausgearbeitet. Whitehead, der in seinen frühen Jahren noch mit Bertrand
Russell zusammen ein mathematisches Großwerk geschrieben hatte (Principia
Mathematica), brachte später als Philosoph ein neues, vom wissenschaftlichen
Mainstream auch heute noch stark abweichendes Denken auf den Weg.
Bildanalytisches Denken setzt ein
initiierendes Paradigma um
In Whiteheads Idee von den universalen,
also überall in der Natur wirksamen "Erfahrungszusammenhängen" können
wir ein initiierendes Paradigma sehen. Dieses stößt die Entwicklung einer
"Psychologie mit grundwissenschaftlichem Anspruch" an, eine
Wissenschaft von den erlebbaren - wir können auch sagen sprachbildlichen -
Zusammenhängen. Erlebbare (respektive sprachbildliche) Zusammenhänge zeichnen
sich durch ihre potenzielle Natur aus und vereindeutigen sich erst in den
gelebten Kontexten zu dem, was wir am Ende als Erleben und Verhalten vor uns
haben. Aber auch dort, wo die besagten Zusammenhänge nicht schon auf diese
Weise durchschlagen, bestimmen sie dennoch das Geschehen entscheidend mit. Wir
sprechen hier von der Wirkungsweise des Atmosphärischen. Die erlebbaren oder
sprachbildlichen Zusammenhänge stehen im Mittelpunkt dieses neuen Denkens einer
bildanalytischen Psychologie und Psychologie des Atmosphärischen.
(Kurzfassung eines Vortrags von 2009)
Bildquelle: https://denkenimwandel.blogspot.com/2015/03/bildanalytisches-denken-eine.html
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